Schwellungen, Schmerzen, Hitze: Entzündungen sind oft stille Begleiter von Physio-Patienten – ob bei Arthrose, Rückenschmerzen, Rheuma oder degenerativen Erkrankungen. Die gute Nachricht: Vor allem chronische Entzündungen lassen sich oft positiv beeinflussen – nicht nur durch Bewegung, sondern auch durch das, was täglich auf den Teller kommt. Lesen Sie, welchen Stellenwert die Ernährung bei inflammatorischen Prozessen hat und welche Empfehlungen Ihren Patientinnen und Patienten wirklich weiterhelfen.
Viele Krankheitsbilder von Physio-Patientinnen und -Patienten gehen mit inflammatorischen Prozessen im Körper einher – entweder als akute Reaktion nach Verletzungen und Operationen oder als chronische Entzündung, die funktionelle Beschwerden mit verursachen oder verstärken kann. Je nach Entzündungsstadium behandelt die Physiotherapie mit Lymphdrainage, Kälte, Elektrotherapie, sanfter Mobilisation und anderen entlastenden Verfahren.
Eine wichtige Stellschraube aber wird häufig übersehen: die Ernährung. Auch wenn Physios meist keine ausgebildeten Ernährungsberater sind, können sie ihre Patientinnen und Patienten dabei unterstützen, durch die richtigen Lebensmittel und Essgewohnheiten den Heilungsverlauf zu fördern und chronische Entzündungsprozesse nachhaltig einzudämmen. Wer grundlegende Prinzipien der anti-entzündlichen Ernährung versteht, kann wertvolle Impulse geben – insbesondere in der Begleitung chronischer Beschwerdebilder.

Entzündung verstehen: Freund und Feind zugleich
Eine Entzündung ist zunächst einmal keine Krankheit, sondern eine hochkomplexe, sinnvolle Immunreaktion. Sie dient der Abwehr von Krankheitserregern, der Heilung von Gewebeverletzungen und der Wiederherstellung der Homöostase – also der Rückkehr zu einem stabilen Gleichgewicht, in dem alle Körperfunktionen wieder im Normalbereich arbeiten.
Akute Entzündungen klingen in der Regel nach kurzer Zeit ab. Problematisch wird es, wenn sich Entzündungsprozesse chronifizieren – etwa durch anhaltende Fehlbelastungen, Stress, Umweltfaktoren oder eine entzündungsfördernde Ernährung. So entstehen stille Entzündungen („silent inflammations“), die häufig unerkannt bleiben, aber den Organismus schwächen und Heilungsprozesse blockieren, beispielsweise bei Arthrose, Rheuma, Rückenschmerzen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder auch Long COVID und Autoimmunerkrankungen.
Ernährung als unterschätzter Hebel
Bestimmte Lebensmittel wirken entzündungsfördernd, andere entzündungshemmend – teils durch direkte Beeinflussung der Immunzellen, teils durch Effekte auf den Darm, den Hormonhaushalt oder den Blutzuckerspiegel. Ein dauerhaft unausgewogenes Essverhalten kann den Körper in einen inflammatorischen Dauerzustand versetzen. Dagegen kann eine anti-entzündliche Ernährungsweise Schmerzen reduzieren, Schwellungen abklingen lassen und die Regeneration fördern. Es geht also nicht um eine strikte anti-entzündliche Diät – die zu empfehlen wäre nicht Aufgabe der Physiotherapie! Vielmehr gilt es zu verstehen, welche Lebensmittel entzündungshemmend wirken und welche Entzündungen fördern. Ganz allgemein lässt sich sagen, dass eine anti-inflammatorische Ernährung möglichst abwechslungsreich und bunt sein sollte – mit ausreichend gesunden Proteinen, viel Gemüse und Obst, Ballaststoffen und gesunden Fetten.

Entzündungshemmende Lebensmittel:
- Gemüse und zuckerarmes Obst, vor allem grünes Blattgemüse und Beeren
- Vollkornprodukte wie Haferflocken, Quinoa, Vollkornbrot und -pasta
- fettreiche Fischarten wie Makrele, Hering und Lachs
- Hülsenfrüchte wie Linsen, Bohnen, Kichererbsen, Sojaprodukte
- fermentierte Lebensmittel wie Joghurt, Kefir, Skyr, Sauerkraut, Kimchi
- hochwertige Öle: Lein-, Raps-, Walnuss-, Hanf- und Olivenöl
- Nüsse und Saaten: Wal- und Haselnüsse, Mandeln, Pekan- und Macadamianüsse, Lein-, Hanf- und Chiasamen
- Gewürze wie Knoblauch, Kurkuma, Ingwer, Zimt, Nelken und Chili
- grüner Tee
- Entzündungsfördernde Lebensmittel:
- Industriezucker
- stark verarbeitete Kohlenhydrate und Weißmehlprodukte
- Transfette, z. B. in Fast Food und Fertigprodukten
- rotes und verarbeitetes Fleisch (Wurst) in größeren Mengen
- zu viele Omega-6-Fettsäuren, z. B. aus Sonnenblumenöl und Fertigprodukten
- Alkohol
- größere Mengen Koffein

Warum Proteine bei Entzündungen so wichtig sind
Häufig verkannt wird immer noch die Bedeutung einer ausreichenden Proteinzufuhr bei entzündlichen Prozessen. Proteine sind nicht nur ein wichtiger Muskelbaustoff, sondern auch ein Schlüssel für Immunfunktion, Entzündungsregulation und die Reparatur von Gewebe. Zur Herstellung von entzündungshemmenden Enzymen, Botenstoffen, Antikörpern und Immunzellen benötigt der Körper Aminosäuren, die Bausteine von Proteinen. Eine zu geringe Proteinzufuhr kann deshalb bei Verletzungen, Entzündungen und chronischen Erkrankungen Heilungsprozesse verzögern.
Ernährungsmediziner empfehlen bei Entzündungszuständen eine Proteinzufuhr von täglich 1,2 bis 1,5 g pro kg Körpergewicht, bei gesunden Menschen rechnet man 1 g. Von den empfohlenen 2 bis 3 Mahlzeiten pro Tag sollte jede einzelne einen Proteinanteil enthalten. Aber nicht übertreiben: Zu hohe Proteinmengen können zu einer Dysbiose (Ungleichgewicht der Darmflora) und einem erhöhten Entzündungsrisiko führen.
Pro und Kontra tierischer und pflanzlicher Eiweißquellen
Außerdem ist Protein nicht gleich Protein: Mageres Fleisch, Fisch, Milchprodukte und Eier liefern vollständige Aminosäurenprofile, die vom Körper gut aufgenommen und verarbeitet werden können. Entzündungsfördernd wirken dagegen tierische Produkte mit hohem Anteil an gesättigten Fettsäuren. Rotes Fleisch, etwa vom Schwein und Rind, sowie fette Wurstsorten sollten deshalb nur in kleinen Mengen verzehrt werden. Besonders empfehlenswert ist fettreicher Seefisch, denn er kombiniert hochwertige Proteine mit Omega-3-Fettsäuren, die stark entzündungshemmend wirken.
Das gleiche gilt für pflanzliche Proteine aus Hülsenfrüchten, Nüssen und Saaten. Sie enthalten neben wertvollen Proteinen auch sekundäre Pflanzenstoffe und Ballaststoffe, die zusätzlich anti-inflammatorisch wirken können. Wer ganz auf pflanzliche Proteine setzt – etwa bei veganer Ernährung – sollte auf eine vielseitige Kombination verschiedener Quellen setzen, etwa aus verschiedenen Hülsenfrüchten und Vollkorngetreiden.

Schlüsselfaktor Darmgesundheit
Der Darm spielt eine wesentliche Rolle bei der Regulation von Entzündungen im Körper. Das komplexe Ökosystem aus Hunderten unterschiedlichen Mikroorganismen, die im menschlichen Darm leben (Mikrobiom) beeinflusst die Verdauung, das Immunsystem, den Hormonhaushalt sowie komplexe Stoffwechselprozesse. Eine gestörte Darmflora begünstigt neben vielen anderen Erkrankungen auch stille Entzündungen im Körper. Positiv beeinflussen kann man das Mikrobiom mit ballaststoffreicher Kost, fermentierten Lebensmitteln wie Sauerkraut, Joghurt oder Kefir sowie möglichst wenig Zucker, Weißmehl und Alkohol.
Therapie-Tipp: Patientinnen und Patienten mit chronischen Beschwerden sollten ihre Verdauung genau beobachten und gegebenenfalls die Darmgesundheit fachärztlich abklären lassen.
Wie weit dürfen Physiotherapeuten mit Ernährungs-Tipps gehen?
Wenn Sie nicht als Ernährungsberaterin oder Ernährungscoach ausgebildet sind, dürfen Sie in Sachen Ernährung keine Diagnosen stellen, keine krankheitsspezifische Ernährungsberatung geben und keine individuellen Ernährungspläne erstellen. Im Rahmen eines ganzheitlichen Therapieansatzes können Sie aber durchaus auf die Zusammenhänge zwischen bestimmten Krankheitsbildern, Entzündungen und Ernährung aufmerksam machen – etwa durch motivierende Impulse:
- „Viele Patienten mit Muskelverspannungen achten auf genügend Magnesium – fragen Sie doch mal Ihre Hausärztin.“
- „Viele wissenschaftliche Studien belegen, dass Zucker und Weißmehlprodukte stark entzündungsfördernd sind.“
- „Es ist interessant: Vollkorn, Obst und Gemüse können bei vielen Krankheiten die Entzündung hemmen und Schmerzen lindern.“
- „Wie ernähren Sie sich im Alltag – eher frisch gekocht oder oft Fertigprodukte?“
- „Achten Sie mal darauf, ob Sie nach dem Training genügend Eiweiß zu sich nehmen.“
- „Wasser trinken ist wichtig für die Funktion von Muskeln und Nerven.“
- „Omega-3-reiche Ernährung kann Entzündungen im Körper entgegenwirken.“
Als nützliche Tools können Sie Ihren Patientinnen und Patienten Info-Handouts, Literaturlisten oder Links zu vertrauenswürdigen Quellen mitgeben. Diese können auch Ihnen und Ihren Mitarbeitenden als wertvolle Ressourcen dienen:
- Die Ernährungs-Docs – mit vielen medizinisch fundierten Infos und Rezepten zu antientzündlicher Ernährung
- Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE)
- Bundeszentrum für Ernährung
- Verbraucherzentrale Bundesverband
Eine Ernährungsumstellung ersetzt keine Therapie
Sollten Sie Zusammenhänge zwischen dem Krankheitsbild eines Patienten und den Ernährungsgewohnheiten vermuten: am besten an einen Ernährungsberater/-coach, Ökotrophologen oder Facharzt verweisen. Auch gezielte Kooperationen, etwa mit einer Heilpraktikerin oder einem Ernährungsexperten, können sich auszahlen. Und falls Sie Ernährung als zusätzliches Standbein einer ganzheitlichen Praxis etablieren möchten: Viele Hochschulen und Akademien bieten berufsbegleitende Aus- oder Fortbildungen zum Ernährungsberater oder Gesundheitscoach an. Im Grunde aber genügt eine gesunde Wissensbasis, um Patientinnen und Patienten mit Informationen über eine gesunde Ernährungsweise zu unterstützen. Ein großes Geschenk sind schon alltagstaugliche Impulse nach dem Motto: „Du kannst selbst etwas zu deiner Gesundheit beitragen – mit etwas Aufmerksamkeit aufs Essen und auf die richtigen Lebensmittel.“