Neue Medizinprodukteverordnung der EU – was nun?

Prof. Dr. Christian Johner, Foto: Ulrike Sommer

Bereits 2017 trat die neue europäische Medizinprodukteverordnung (MDR) in Kraft. Bis wann sie wirklich umgesetzt werden muss, ist unklar, denn die EU-Kommission hat gerade die Übergangsfristen verlängert. Da aber viele Zertifikate auslaufen, sind die Hersteller dennoch unter Druck. Klar also, dass verantwortungsbewusste Unternehmen wie proxomed mit Hochdruck daran arbeiten, die MDR-Anforderungen umzusetzen. Wir fragten Prof. Dr. Christian Johner, was die Verordnung für physiotherapeutische Praxen und Rehazentren bedeutet. Johner ist Gründer und Inhaber des Johner Instituts. Mit seinem Team hilft er Medizinprodukteherstellern dabei, sicherere und leistungsfähige Produkte zu entwickeln und schnell zuzulassen – trotz überbordender regulatorischer Vorgaben.

» Herr Prof. Johner, mit welcher Zielsetzung hat die EU eine neue Medizinprodukteverordnung (MDR) erarbeitet?

Spricht man mit Vertretern der EU und vieler Behörden, scheint niemand mehr genau zu wissen, weshalb man eine neue Regulierung anstrebte. Dass der Skandal um Brustimplantate der Auslöser gewesen sei, ist nur ein Gerücht. Selbst die Zielsetzung ist in der MDR nicht präzise beschrieben. Dazu zählen die Patientensicherheit und die Wirksamkeit der Produkte. Andere Ziele wie die Förderung der Innovation, die Sicherstellung der Versorgung mit bezahlbaren Medizinprodukten und die Stärkung europäischer Hersteller werden bestenfalls erwähnt. Die MDR enthält aber kaum Elemente, die geeignet sind, um diese Ziele zu erreichen.

» Worauf müssen physiotherapeutische Praxen und Rehazentren künftig achten, wenn sie Bestandsgeräte einsetzen oder neue Medizinprodukte kaufen?

Der Fokus der MDR liegt auf den Herstellern und anderen sogenannten Wirtschaftsakteuren wie den Importeuren und Händlern. An die Gesundheitseinrichtungen stellt die MDR nur wenige Anforderungen. Physiotherapeutische Praxen und Rehazentren sind daher nur indirekt betroffen, etwa wenn Medizinprodukte teurer werden oder schlechter bis gar nicht mehr verfügbar sind.

Die MDR stellt auch keine Anforderungen, welche die weitere Nutzung von Produkten einschränken, die bereits in Betrieb genommen wurden. Entsprechende Meldungen und Beiträge selbst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sind zumindest irreführend. Allerdings müssen die Rehazentren und Praxen sowohl die Anforderungen der (novellierten) Medizinprodukte-Betreiberverordnung (MPBetreibV) erfüllen als auch die Vorgaben der Hersteller. Die MDR wird sich also in erster Linie über diese Herstellervorgaben auf die Betreiber auswirken.
 

» Was bedeutet die Konformitätserklärung für Physiopraxen und Rehazentren?

Hersteller von Medizinprodukten sind verpflichtet, für jeden ihrer Produkttypen eine Konformitätserklärung auszustellen. Betreiber wie Physiopraxen und Rehazentren sollten darauf achten, dass diese Konformitätserklärung vorliegt. Aber eine gesetzliche Pflicht dazu ergibt sich aus der MDR nicht. Vielmehr müssen die Betreiber den Anforderungen der MPBetreibV folgen. Die verlangt beispielsweise, dass der Betreiber die Produkte

  • gemäß der Zweckbestimmung bzw. des bestimmungsgemäßen Gebrauchs betreibt und dazu die Gebrauchsanweisung beachtet,
  • nur von Personen anwenden lässt, die dafür die notwenigen Voraussetzungen und Kenntnisse haben,
  • nur so kombiniert (auch mit anderen Produkten wie Software), dass die Sicherheit der Patienten nicht gefährdet wird.

» Welche Risiken sind mit der Verwendung alternativer Produkte oder auch gerätefremder Software verbunden?

Wer Medizinprodukte nicht so wie vom Hersteller vorgesehen einsetzt (konform des sogenannten bestimmungsgemäßen Gebrauchs), macht sich strafbar. Wenn ein Betreiber beispielsweise entgegen den Herstellervorgaben ein anderes Produkt anschließt, setzt er sich regulatorischen Risiken aus. Und natürlich können auch Risiken für die Patienten damit verbunden sein.

» Was raten Sie Physiopraxen und Rehazentren, die jetzt neue Medizinprodukte anschaffen wollen?

Die MDR hat nur eine indirekte Auswirkung darauf, auf was Physiopraxen und Rehazentren achten sollten. Die meisten Punkte waren schon davor relevant, beispielsweise die vom Hersteller

  • spezifizierte Lebensdauer des Produkts,
  • zugesagte Dauer der Versorgung mit Ersatzteilen und Service-Dienstleistungen,
  • angegebenen Restrisiken des Produkts,
  • zugesagte Funktionalität, Leistungsfähigkeit und Interoperabilität des Produkts,
  • zugesagte Güte (Geschwindigkeit, Kompetenz, Kosten) der Instandhaltung und des Supports,
  • angegebenen Preise für das Produkt und Verbrauchsartikel sowie
  • angebotenen Möglichkeiten zur Erprobung der Produkte. Denn deren Gebrauchstauglichkeit erweist sich erst bei der Nutzung.

Insgesamt kann man also sagen, dass die neue MDR für physiotherapeutische Praxen und Rehazentren keine größeren Herausforderungen mit sich bringt. Sie können sich erstmal entspannen – sofern sie die Geräte konform mit den Anforderungen der MPBetreibV und der Anweisung der Hersteller betreiben.


Das Interview mit Prof. Dr. Christian Johner führte Marion Trutter.