Auf einem guten Weg: Bewegungstherapie bei Krebs

Mehr als 700 Studien belegen die Wirksamkeit von Bewegungstherapie bei Krebserkrankungen. Die Forschung zu diesem Thema läuft auf Hochtouren, und bis 2024 soll Trainings- und Bewegungstherapie in der Onkologie endlich zur Regelversorgung gehören. Viele Krankenkassen zahlen jetzt schon im Rahmen von IV-Verträgen.

„Ruhe, Ruhe, Ruhe“, heißt es bis heute oft, wenn jemand an Krebs erkrankt ist – sei dies nun vor oder nach der Operation, sei es mit oder ohne Chemo- oder Strahlentherapie. Dabei hat die Forschung diese landläufige Meinung längst widerlegt: „Es war falsch, ist falsch und wird falsch bleiben, so etwas gegenüber onkologischen Patienten zu formulieren“, sagt Prof. Dr. Freerk Baumann, Leiter der Arbeitsgruppe Onkologische Bewegungsmedizin am Centrum für Integrierte Onkologie (CIO) der Uniklinik Köln sowie sportwissenschaftlicher Leiter der Onkologischen Trainings- und Bewegungstherapie (OTT) der Uniklinik Köln in Kooperation mit der Deutschen Sporthochschule Köln (DSHS).

„Ganz im Gegenteil“, betont der Wissenschaftler: „Onkologische Patienten nach Diagnosestellung und auch während der medizinischen Therapie brauchen unbedingt Bewegungstherapie. Das gilt insbesondere auch bei metastasierten und fortgeschrittenen Krebserkrankungen. Gerade bei diesen Patienten ist es wirklich eine Notwendigkeit, dass sie in Bewegung bleiben.“

Prof. Dr. Freerk Baumann, Foto: Michael Wodak / MedizinFotoKöln

Hohe Evidenz bei Prostata- und Brustkrebs

Besonders effektiv und wirksam zeigt sich Bewegungstherapie bei Prostatakrebs: „Es ist sehr gut belegt, dass ein präoperatives Training die postoperative Harninkontinenzrate sehr positiv beeinflusst“, erklärt Prof. Baumann. „Männer, die schon vor der Operation trainieren, werden nach der OP schneller wieder kontinent – und damit auch schneller wieder mobil.“

Bei Frauen, die infolge einer Brustkrebs-OP oder der Strahlentherapie ein sekundäres Lymphödem entwickelt haben, empfiehlt der Sportwissenschaftler ein dynamisches progressives Krafttraining – zunächst mit relativ geringen Intensitäten und hoher Wiederholungsrate. So kann das Lymphödem im Umfang reduziert werden und auch die Schmerzen werden weniger.

Projekte auf dem Weg zur Regelversorgung

Nun stellt sich die Frage, warum Sport- und Bewegungstherapie bei Krebserkrankungen nicht längst zur Regelversorgung zählt. „Dass das nicht der Fall ist, ist ein Skandal!“, macht Prof. Baumann deutlich. „Es gibt keinen einzigen Grund mehr, dass die spezielle Bewegungs-, Trainings-, Sport- oder Physiotherapie für onkologische Patienten noch nicht in der Regelversorgung angekommen ist. Aber wir sind ganz stark dabei, das rasant vorwärtszubringen und umzusetzen.“

Immerhin gibt es mit einigen gesetzlichen Krankenversicherungen bereits Verträge für Integrierte Versorgung (IV) mit Sport- und Bewegungstherapie bei Krebserkrankungen. Die Privatkassen bezahlen die Leistungen ohnehin, und auch für die verbleibenden Kassenpatienten zeigt sich Licht am Ende des Tunnels: 2024/2025 sollte die Bewegungstherapie bei Krebs zur Regelversorgung gehören. Zwei vielversprechende Projekte sind auf dieses Ziel ausgerichtet:

INTEGRATION-Programm im Rahmen des Innovationsfonds-Projekts

Momentan läuft das sogenannte INTEGRATION-Programm, gefördert mit Mitteln des Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). Anhand von 470 Patientinnen und Patienten werden in elf deutschen Krebszentren die Programme für Bewegungs- und Ernährungstherapie evaluiert, um ihre Wirksamkeit in der Praxis darzustellen. Die Ergebnisse sollen 2024 vorliegen und dann Ende des selben Jahres dem G-BA übergeben werden. Anhand dieser Resultate entscheidet der G-BA dann, ob die onkologische Bewegungstherapie in die Regelversorgung übernommen wird.

 

Versorgungsmodell Onkologische Trainings- und Bewegungstherapie

Das Versorgungsmodell Onkologische Trainings- und Bewegungstherapie (OTT) wird bereits an etwa 100 Standorten in Deutschland umgesetzt. „Die OTT ist ein personalisiertes Bewegungstherapiekonzept speziell für Krebspatienten“, erklärt Prof. Baumann. „Dieses Konzept berücksichtigt die Inhalte der Bewegungstherapie, die Krebsentität, die medizinische Therapie, die medizinischen Nebenwirkungen und Symptome. Außerdem werden individuelle Kontextfaktoren der Patienten wie Alter, Geschlecht, Bewegungshistorie und aktueller Bewegungsstatus sowie weitere relevante Aspekte berücksichtigt. Auf dieser Basis wird dann im Dialog mit dem Patienten ein individuelles Bewegungsprogramm zugeschnitten.“